Wir waren an einem Dienstag, wie üblich, auf der Stroke Unit des Klinikum Ansbach. Dieser Besuch fand bis dato einmal pro Woche statt um mögliche Patienten kennenzulernen, welche für unser Projekt in Frage kommen könnten.
Der Ablauf eines solchen Besuches gestaltet sich immer gleich oder ähnlich. Man betritt die Station, sucht den Stationsarzt, setzt sich mit ihm vor den Computer, anhand der Diagnosen macht er Vorschläge, man schreibt händisch mit und besucht dann nach und nach alle vorgeschlagenen Patienten um sich vorzustellen und sein Anliegen zu präsentieren. Man fasst sich kurz da man den Patient nun auch nicht überfordern möchte. Schließlich befindet sich dieser in einer absoluten Ausnahmesituation. Nicht nur dass er unvorbereitet in die Klinik kam bzw. musste, er muss sich auch mit einer Diagnose auseinander setzen, welche sein Leben nachhaltig verändern wird oder könnte.
Und genau da bietet sich uns die erste Hürde. Wir möchten einem Patient von unserer guten Sache berichten und kommen damit, mit der nächsten Neuigkeit, von der er in den meisten Fällen noch nie was gehört hat und erwarten zusätzlich, dass er sich sofort richtig entscheidet. Das gelingt nur selten.
So auch an diesem Dienstag. Wir betreten ein Patientenzimmer in dem sich ein Schlaganfallpatient befand welcher Anfang fünfzig war. Bis vor zwei Tagen stand er noch mit beiden Beinen fest im Leben (Familie, Haus, Job) und nun kann er seinen linken Arm nicht mehr bewegen. Ein solches Ereignis ist für einen Menschen zutiefst traumatisch und dieser Tatsache muss man sich bewusst werden wenn die erste Kontaktaufnahme in der Akutphase stattfindet.
Wir fanden also einen Patienten vor, welcher sich nur schwer konzentrieren konnte und sich gar nicht richtig auf das von uns gesagte einlassen konnte. Sein Hauptthema war eine möglichst zeitnahe Entlassung und der Wunsch einer ambulanten Reha damit er schnell wieder nach Hause könne. Schließlich musste er ja im Homeoffice arbeiten da er einer Tätigkeit im Außendienst nachging. Natürlich ist das unrealistisch. Aber es war sein Thema. Auf seinem Wunsch hin, ließen wir dann die Infobroschüre und die Blätter bezüglich des Datenschutzes und des Patientenauftrag am Tisch liegen. Er wolle dieses Thema am Nachmittag mit seiner Frau besprechen.
Gesagt, getan. Wir legten alles auf den Tisch, verwiesen auf unsere Telefonnummer, wünschten alles Gute und verließen das Zimmer wieder mit gemischten Gefühlen. Hätten wir gleich seine Unterschrift bekommen, hätten wir sofort anfangen können in seinem Fall aktiv zu werden. Leider ist aber eine solche Entscheidung in dieser Situation wirklich viel verlangt.
Am Nachmittag dachte ich noch ein wenig über seine Worte und seine Themen nach. Mir wurde bewusst, dass dieses Gespräch nicht optimal verlaufen ist. Wir hörten uns zwar die Worte des Patienten an, sind aber zu wenig individuell drauf eingegangen. Was teilte er uns mit wenigen Sätzen mit? Schnell wieder Heim, schnell wieder arbeiten, Job im Außendienst. Was ist das Problem? Hirninfakt rechts mit Hemiplegie links. Er konnte also seinen linken Arm so gut wie gar nicht bewegen. Auch die Akuttherapie verschaffte diesem Zustand noch keine Abhilfe. Aber genau dort sind doch unsere Stärken. Durch unser Netzwerk und unsere Erfahrung konnten wir doch genau dort helfen.
Am nächsten Tag war ich erneut im Klinikum Ansbach wegen eines anderen Termins. Im Anschluss suchte ich nochmal den Weg zum Patient und sprach erneut mit ihm. Er erkannte mich auch wieder hat aber noch nicht über unser gestriges Gespräch nachgedacht. Ich erklärte ihm mit wenigen Sätzen, dass ich es zwar nicht hoffe, aber leider die Möglichkeit besteht, dass er noch nicht sofort nach der Reha seine Fahrtauglichkeit zurück erlange und dass ich unsere Aufgabe genau da sehe, durch unsere Ausbildung, unserer Erfahrung und unserer Netzwerkarbeit, diesen Prozess schnellstmöglich voran zu treiben um eine komplette Teilhabe am Arbeitsleben schnellstmöglich zu gewährleisten. Wir kennen niedergelassene Neurologen, Ergotherapeuten und Physiotherapeuten, die nach der Reha mit ins Spiel kommen um die Vorarbeit der stationären Reha ambulant fortführen.
Er fragte nur noch wo, er unterschreiben muss.
Erstgespräch mit seiner Frau
Nachdem ich seine Unterschrift hatte, konnte ich aktiv werden. Denn mit dieser hat er mich von der Schweigepflicht entbunden und ich konnte mit allen Akuteren in Kontakt treten. So auch mit seiner Ehefrau.
Nachdem ich mich vorstellte und ich ihr unsere Tätigkeit nahe legen konnte, ging es recht schnell und sie öffnete sich mit einem hohen Maß an Dankbarkeit. Sie vermutete schon seit einiger Zeit, dass da was im Argen lag. Seit Jahren mied er jeglichen Arztkontakt. Regelmäßig berichtete er über Kopfschmerzen. Obwohl ein elektronisches RR-Messgerät daheim war, verweigerte er jede Messung. Seine Frau war schon länger in Sorge um seinen Zustand aber er ignorierte alle Ratschläge.
Ich sagte ihr, dass wir nun die besseren Argumente haben als er und dass es eine unserer Aufgaben sei, mögliche Risiken zu erkennen und die Sekundärprävention zu beachten bzw. umzusetzen. Natürlich stehen wir nur beratend zur Seite aber wir können in dieser Rolle gut, dass für und wieder so manchen Verhaltensmuster abwägen und darstellen. Diese Risikofaktoren müssten wir auch erheben, um einen erneuten Schlaganfall zu vermeiden bzw. das Risiko dafür senken.
Dies machte sie noch dankbarer und sie freue sich auf eine gute Zusammenarbeit. Wir uns auch!